Norbert Spinrath: Rede vom 28. Juni 2016 im Deutschen Bundestag zum Brexit

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu lange hat Premier Cameron gegen die EU gearbeitet. Sein Kampf in den letzten Monaten für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU war nicht mehr glaubwürdig und nicht mehr überzeugend genug. Jetzt aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss derselbe Premier, der nach seiner eigenen Erklärung noch mehrere Monate im Amt sein wird, mit seiner Regierung den Willen des Volkes umsetzen. Ich fordere ihn hiermit auf, nicht länger Zeit zu schinden, sondern die notwendige Mitteilung in Brüssel schnellstmöglich vorzulegen.

Eines muss der dortigen Regierung klar sein – ich bin froh, dass darüber Einigung in diesem Hause herrschte -: Vor einer Mitteilung über die Austrittsabsicht gegenüber dem Europäischen Rat darf es keine Vorgespräche, darf es keine Nachverhandlungen und darf es keine Zugeständnisse geben. Bei den dann folgenden Verhandlungen geht es eben alleine um die Bedingungen des Austritts und nicht um die zukünftigen Beziehungen des Landes zur EU. Austrittsverhandlungen dürfen keine Gespräche über eine Mitgliedschaft light des Vereinigten Königreiches in der EU sein. Im Reich von Wahnvorstellungen bewegt sich anscheinend Boris Johnson, der gestern vom bevorzugten Zugang des Landes zum Binnenmarkt und zu den Vorteilen der EU fabulierte, ganz ohne die aus einer Mitgliedschaft erwachsenen Pflichten.

Die Europäische Union wird diesen Austritt sicherlich verkraften. Sorgen mache ich mir aber um die Zukunft des Vereinigten Königreiches. In den letzten Tagen zeigte sich die innere Zerrissenheit des Landes, zwischen Jung und Alt, zwischen Schottland, Nordirland und London einerseits und dem Rest des Landes andererseits. Nicht einmal mehr ein Verfall des Landes ist auszuschließen. Das britische Pfund und die Wirtschaft stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, Frau Bundeskanzlerin, dass die 27 Mitgliedstaaten der Union zusammenstehen. Da haben die Treffen der vergangenen Tage mit Ihren Kollegen aus Frankreich und Italien, aber eben auch das Treffen der sechs Außenminister der Gründungsstaaten auf Einladung von Frank-Walter Steinmeier am Sonnabend wichtige Impulse gesetzt.

Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie, beim Europäischen Rat darauf hinzuwirken, dass die 27 Mitgliedstaaten mit einer Stimme sprechen. Dabei reicht es eben nicht, die Äußerungen von Herrn Cameron in Ruhe, wie es Herr Kauder und die Kanzlerin formuliert haben, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, Sie müssen von der Regierung des Vereinigten Königreiches schnellstmöglich und nicht erst nach einem personellen Wechsel im Herbst die Mitteilung der Austrittsabsicht einfordern.

Die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten müssen aber auch das Vertrauen in die Europäische Union schnell wiederherstellen und offen und für ihre Bürgerinnen und Bürger erkennbar und nachvollziehbar darüber reden, wie ein besseres Europa gestaltet werden soll. Geben Sie, Frau Bundeskanzlerin – das möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben -, ein starkes Bekenntnis zur europäischen Einigung ab. Doch dazu ist eben nicht nur ein Bekenntnis erforderlich, sondern auch konkretes Handeln. Es gibt viel zu tun, auch auf unserer deutschen Seite.

Herr Kauder, wir sollten darüber nicht nur wohlfeil reden, aber immer dann die Schotten dicht machen, wenn wir Sozialdemokraten von der sozialen Dimension Europas reden. Auch das ist Realität. Da müssen Sie sich bewegen.

Frau Hasselfeldt, natürlich wollen wir, dass sich Europa zu einem besseren Europa weiterentwickelt. Aber dann müssen wir nicht nur über die Menschen reden, sondern wir müssen sie auch deutlich und wahrnehmbar in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Einfach nur abzuwarten und die Dinge in Ruhe zur Kenntnis zu nehmen, wäre jetzt ein schwerer Fehler und der Lage in Europa nicht angemessen.